Neonazis und Rassist*innen bilden in Wilhelmshaven eine Allianz. Dabei kann die Rechte auf jahrelang aufgebaute Strukturen zurückgreifen. Rechte Strukturen werden in Wilhelmshaven seitens der Öffentlichkeit geleugnet. Mehrere antifaschistische Gruppen rufen daher zu einer Demonstration auf.
Gastbeitrag vom Vorbereitungskreis WHV1802
Seit vielen Jahren ist Wilhelmshaven ein fruchtbarer Boden für Neonazis und Rassist*innen. Strukturen wie die Kameradschaft „AG Wiking“ (2006 bis 2012), mit ihrem angeschlossenen Liedermachderduo „Frei und Stolz“, entfalteten durch Aktionen und Vernetzung teils bundesweite Resonanz. Ebenso die militante „Anti-Antifa-Aktionsgruppe Wilhelmshaven“. Kopf der Gruppierung war der wegen eines Brandanschlags auf die Moschee in Sittensen (Kreis Rotenburg/Wümme) verurteilte Brandstifter Christian Schneeweiß. Während der Hochzeit der Gruppe in den Jahren 2011 und 2012 kam es beinahe wöchtentlich zu Angriffen auf linke WGs, Parteibüros und auf Migrant*innen.
Das Jahr 2012 war es auch, in dem die „Anti-Antifa“-Gruppe ein plötzliches Ende fand, als Christian Schneeweiß nicht nur psychisch zusammenbrach, sondern auch eine Haftstrafe anzutreten hatte.
Ebenfalls bestens in besagte Stukturen integriert: Der NPD-Unterbezirk „Ostfriesland/Friesland“, dessen Mitglieder und Aktivist*innen zahlreiche Überschneidungen zu den militanten Strukturen aufwiesen.
Dazu kommt, dass mit Robert Baar ein langjähriger Unterstützer der Neonaziszene vor Ort ist. Der Immobilienmakler stellte neben Räumlichkeiten für Kameradschaftstreffen auch finanzielle Mittel und günstigen Wohnraum für seine Kameraden zur Verfügung. Der Versuch, ein Schulungszentrum für Neonazis aufzubauen, scheiterte 2007.
Es bleibt festzustellen, dass Wilhelmshaven mit seinen knapp 76.000 Einwohner*innen traditionell ein Ort ist, in dem sich Neonazis immer wieder ungestört organisieren und Strukturen aufbauen können.
Neu-Organisierung 2015
Mit dem Rückenwind der Erfolge von AfD, PEGIDA und Co in den Jahren 2014 und 2015 begann erneut die Mobilisierung und Organisierung von Rechten in Wilhelmshaven.
Von Beginn an führend dabei: Volker Hillnhütter, der zunächst als Anführer der Gruppierung „Fight Squad Portcity“ von sich reden machte. Die Straßengang beschränkte sich nicht nur auf kleinkriminelle Delikte, sondern nahm auch an der rassistischenKundgebung des Oldenburger PEGIDA-Ablegers am 16.03.2015 teil.
Später wurde Hillnhütter „Präsident“ des Gremium-Supporter-Clubs „Schwarzes Rudel Wilhelmshaven“. Hier fanden jahrelang aktive militante Neonazis wie Robin Sudbrink und Jens Malte Hillers Anschluss an organisierte Strukturen. Auch der Club als solcher kann keinesfalls als unpolitisch angesehen werden. So verwendet dieser im Clublogo das Bild eines SS-Soldaten.
Zusammen mit seinem Gesinnungsgenossen Frank Appeldorn gründete Hillnhütter Facebookseiten wie „WILGIDA“ oder „Nein zum Heim in Ebkeriege“. Wiederholt wurde Wert darauf gelegt, dass man keine „Nazis“, sondern „Patrioten“ sei.
Inhaltlich ging es auf diesen Seiten fast ausschließlich um rassistische Gerüchte und Bedrohungen von Einzelpersonen, die sich gegen Rassismus engagieren. Dabei entwickelten die Seiten eine Reichweite, die über die übliche Szene von Neonazis und „besorgten Bürger*innen“ hinaus ging.
Die rassistische Hetze ging so weit, dass sich die beiden Betreiber der Seite am 1. März 2017 wegen Volksverhetzung vor Gericht verantworten müssen.
Parallel dazu reorganisierte sich auch die regionale Neonaziszene und schloss sich unter dem Label „Aktionsgruppe Weser/Ems“ zusammen. Hier wird versucht, Neonazis aus Friesland, Oldenburg und Wilhelmshaven zu vernetzen und handlungsfähig zu machen.
Vom Internet verlagerte sich der Aktionismus von „WILGIDA“ Mitte 2015 auch auf die Straße. Über ihre Facebookseite wurde dazu aufgefortert, an dem „Spaziergang“ am 15.09.2015 teilzunehmen. Ca. 20 Teilnehmer*innen, darunter bekannte Neonazis, folgten dem Aufruf. Die Kundgebung fand in räumlicher Nähe zum gleichzeitig stattfindenden „Netzwerktreffen gegen rechts“ statt. Ein Antifaschist jagten wurde gejagt. Frank Appeldorn versuchte zusammen mit dem Neonazi Jens Malte Hillers, ihn mit einem PKW zu überfahren.
Zwei Wochen später versuchten Neonazis und „Patrioten“ in ähnlicher Konstellation, auf ein Willkommensfest für Geflüchtete zu gelangen, was durch das Eingreifen couragierter Antifaschist*innen verhindert werden konnte.
Eine offene Zusammenarbeit zwischen „Patrioten“ und Neonazis zeigte sich auch im November 2015, als die neonazistische „AG Weser/Ems“ eine Kundgebung „gegen Masseneinwanderung und Asylmissbrauch“ im Stadtteil Fedderwardergroden organisierte. An dieser expliziten Neonazikundgebung beteiligten sich auch die Abstand heuchelnden „Patrioten“ von „WILGIDA“ zahlreich.
Im Nachgang löste sich „WILGIDA“ auf und wurde zum „Patriotischen Widerstand Deutschland“ (PDW).
Im Zuge der Debatten um die Ereignisse der Kölner Silvesternacht 2015 gründete sich auch in der Hafenstadt eine „Bürgerwehr“. Gründer und Kopf der Gruppe: das AfD-Mitglied Ralf Diederich. Dieser verzeichnete kurzzeitig Mobilisierungserfolge, als er an drei Abenden Kundgebungen mit etwa 30 Teilnehmer*innen abhielt. Auch hier demonstrierten die selbsternannten „Patrioten“ Seite an Seite mit bekannten Neonazis.
„Teilen und Helfen“ – Rassist*innen mit sozialem Engagement
Im Mai 2016 vollzog sich dann eine scheinbare Trendwende. Volker Hillnhütter, einer der führenden Köpfe des „Patriotischen Widerstands“ erklärte seinen Rückzug aus der aktiven Politik und versuchte, mit dem Wohltätigkeitsprojekt „Teilen und Helfen“ Sympathiepunkte zu sammeln. Die Facebookseite des Projekts wuchs rasant und entfaltete eine breite lokale Öffentlichkeit.
Auch die „Wilhelmshavener Zeitung“ widmete dem Rassisten und seiner Lebensgefährtin einen Artikel über ihr „soziales“ Projekt, in dem sie sich als sozial engagierte Bürger*innen präsentieren konnten. Kritik an den offensichtlichen rechten Aktivitäten Hillnhhütters wurde seitens der Zeitung heruntergespielt.
Der vermeintliche Rückzug Hillnhütters entpuppte sich schnell als Lüge. Unter anderem tauchte er bei verschiedenen Veranstaltungen der AfD auf. Als vor seinem Wohnhaus ein Papiercontainer in Flammen stand, machte er die„die Antifa“ für diese Tat verantwortlich und bekannte sich offiziell dazu, wieder politisch aktiv zu sein.
So war es auch Volker Hillnhütter, der auf seiner Facebookseite ein Foto von minderjährigen Migrant*innen postete, die laut seiner Aussage die Geschäfte in der Innenstadt beschädigten und dort geklaut hätten. In den Kommentaren folgte eine Flut an rassistischen Äußerungen und exzessiven Gewaltfantasien. Darüber hinaus wurden in einer Art „Liveticker“ die Aufenthaltsorte der jungen Menschen mitgeteilt. Es formierte sich ein rassisitscher Mob, der nach den Jugendlichen suchte. Hieran beteiligten sich nicht nur Aktivist*innen der „Bürgerwehr“ und der AfD, sondern mit Jürgen Schultz auch ein Vertreter der Partei „Liberal-konservative Reformer“ (LKR), ehemals ALFA. Schultz brüstete sich im Anschluss damit, den Jugendlichen „den Weg aus der Marktstraße gezeigt“ zu haben.
Rassistische Einheitsfront – von militanten Neonazis bis AfD und LKR (ex-ALFA)
Grundsätzlich zielen die Aktionen der „Patrioten“ und Neonazis darauf ab, ein Klima der Einschüchterung zu schaffen. So versammelten sich vor Beginn des Netzwerktreffens gegen Rechts im November 2016 rund zehn Personen aus allen Spektren (militante Neonazis, PWD, Bürgerwehr, AfD, LKR) vor dem Tagungsort. Trotz Hausverbots versuchten sie, teilweise vermummt, auf das Gelände zu gelangen.
Dazu kommen diverse Einschüchterungsversuche gegen Kritiker*innen und politische Gegner*innen. In der alternativen Kneipe „Klingklang“ provozierten Neonazis im Dezember 2015 und schlugen einen Mitarbeiter. Einzelne Aktivist*innen des Netzwerks gegen Rechts wurden regelmäßig in sozialen Netzwerken namentlich benannt und bedroht. Darüber hinaus wurden Neonazis im Februar 2016 dabei beobachtet wie sie Klingelschilder an Wohnhäusern kontrollierten. Im Juni letzten Jahres wurden Facebooknutzer*innen, die kritisch kommentierten, zu Hause und am Arbeitsplatz besucht.
Bei der Kommunalwahl im September 2016 schaffte es die AfD dann auch, mit 11,2 Prozent eines der landesweit besten Ergebnisse zu erzielen. Mit diesem Ergebnis konnte die Partei nicht nur vier Mandate erzielen, sondern auch drittstärkste Kraft in der Hafenstadt werden.
Fazit
In Wilhelmshaven entfaltet sich eine gefährliche Allianz aus militanten Neonazis und selbsternannten „Patrioten“, die versucht, ein Klima der Angst zu schaffen. Zivilgesellschaftliche Akteur*innen, die sich antirassistisch engagieren, werden teilweise mit Vorankündigung bedroht und angegangen. Mit all diesen Aktionen versuchen die Rassist*innen die Stadt für sich zu beanspruchen.
Dieses offen gewaltsame Agieren wird allerdings in der Öffentlichkeit kaum skandalisiert. Obwohl eine lange Reihe von Vorfällen bekannt ist, scheinen Polizei, Presse und Parteien das Problem herunterzuspielen. Die offene Zusammenarbeit von LKR, AfD, militanten Neonazis, PEGIDA-Sympathisant*innen und selbsternannten „Patrioten“ ist für Niedersachen ungewöhnlich und beunruhigend. Den Rechten gelang in Wilhelmshaven, was andernorts oft scheiterte: Ein breites rassistisches Bündnis, welches nur wenig Druck durch die Öffentlichkeit erfährt.
Um hier zu intervenieren und das Thema in der Öffentlichkeit zu platzieren, ruft ein Bündnis aus antifaschistischen Gruppen aus verschiedenen Städten zu einer antifaschistischen Demonstration auf. Am 18. Februar um 13.00 Uhr soll am Wilhelmshavener Bahnhof der Treffpunkt dafür sein, lautstark gegen die rassistische Allianz und ihre Taten zu protestieren.
Weitere Infos gibt es hier: http://whv1802.blogsport.de