Kurdische Aktivisten wegen Mitgliedschaft in der PKK zu 2 Jahren und 6 Monaten Haft verurteilt

Freiheit_Mustafa+Kenan
In zwei voneinander getrennten Strafprozessen wurden die kurdischen Aktivisten Mustafa Çelik und Kenan Baştu am 30.08.16 bzw. 01.09.16 vom Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Celle wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung in einer „terroristischen Vereinigung im Ausland“ verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass beide als Mitglieder in der Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) aktiv gewesen seien und verurteilte sie darum nach §§ 129a, 129b StGB jeweils zu 2 Jahren und 6 Monaten Haft.
Die beiden Verfahren zogen sich ab Ende April bzw. Anfang August über mehrere Monate hin. Während dieser Zeit ließ das Gericht Zeug*innen – vor allem von Polizei und Geheimdienst – anhören, abgehörte Telefonate und SMS vorlesen und bereits durch andere Gerichte Beschlossenes vortragen.

Ein Beitrag des Solidaritätskomitees für die politischen Gefangenen Celle/Hannover.


Mustafa Çelik war am 12.11.15 in Bremen verhaftet worden und sitzt seit dem in Untersuchungshaft in der JVA Sehnde. Ihm warf die Bundesanwaltschaft vor, dass er seit Mitte 2013 als Gebietsleiter zunächst für den Bereich Oldenburg und seit August 2015 für den Sektor Hamburg tätig gewesen sei. Neben den „üblichen“ Tätigkeiten, derer er beschuldigt wurde, habe sich Mustafa Çelik intensiv um die Informations- und Mobilisierungsarbeit zu den Parlamentswahlen in der Türkei am 07.06.15 zugunsten der prokurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP) eingesetzt.
Mustafa ist in Nordkurdistan aufgewachsen und hat bereits in seiner Jugend den Konflikt um die kurdische Frage selbst miterlebt. Freund*innen und Verwandte wurden vom türkischen Staat inhaftiert und gefoltert. Darum schloss sich Mustafa der Freiheitsbewegung Kurdistans an, wurde im Guerilla-Kampf verwundet und ging dann nach Europa, um hier bei seiner Familie in Norddeutschland zu leben. Sogar das Gericht erkannte Mustafas Engagement gegen die Unterdrückung des kurdischen Volks und die Menschenrechtsverletzungen des türkischen Regimes an.

Kenan Baştu war am 21.10.15 in Dresden festgenommen worden und befindet sich in der JVA Celle in Untersuchungshaft. Ihm wurde vorgeworfen als Kader seit Mitte 2014 zuerst für den Bereich Hannover und seit Juli 2015 für das Gebiet Sachsen verantwortlich gewesen zu sein. Er wurde u. a. beschuldigt, die Durchführung von Versammlungen, Demos und Kundgebungen angewiesen, sich um die Organisation von Busfahrkarten gekümmert und „erhebliche Beiträge“ in Form von Wahlhelferarbeiten zugunsten der prokurdischen HDP im Rahmen der Parlamentswahlen geleistet zu haben.
Kenan war in der Türkei Mitglied einer linken Gewerkschaft. Aufgrund seines politischen Engagements war er dort zwei mal inhaftiert und wurde in der Haft gefoltert, ohne verurteilt worden zu sein. Aufgrund dieser Verfolgung suchte er 2008 Asyl in Frankreich und setzte sich auch in Europa für eine Demokratisierung der Türkei und eine friedliche Lösung der kurdischen Frage ein. Der vorsitzende Richter Rosenow kam nicht umhin anzuerkennen, dass Kenan aus uneigennützigen, ja idealistischen Gründen für die Freiheit des kurdischen Volks eintrete. Auch hielt er Kenan zugute, dass er kein „Scharfmacher“ gewesen sei, sondern stets besonnen agiert habe, was selbst ein Zeuge des Bundeskriminalamts (BKA) so ausgesagt hatte.

Eigenhändige Straftaten konnte das Gericht weder Mustafa noch Kenan nachweisen; allein dass sie ihre Tätigkeiten – das Organisieren von Protesten, Wahlkampf für die Demokratische Partei der Völker (HDP), das Sammeln von Spenden, die Teilnahme und Bewerbung von Bildungen – als Mitglieder der PKK ausgeführt hätten, genügte dem Gericht, sie zu jeweils 2 Jahren und 6 Monaten Haftstrafe zu verurteilen.
Richter Rosenow hatte in seinen mündlichen Urteilsbegründungen jeweils versucht, die Verfahren zu entpolitisieren, indem er die Legitimität der Verurteilungen auf rechtsstaatliche Prinzipien und die Ablehnung jeglicher Gewalt als politisches Mittel herunter zu brechen versuchte – angesichts der desolaten menschenrechtlichen und rechtsstaatlichen Lage in der Türkei sowie dem selbst in Anspruch genommenen Gewaltmonopol der BRD ein Unterfangen, das zum Scheitern verurteilt war. Er versteifte sich sogar darauf zu behaupten, das türkische Regime sei „keine Besatzungsmacht und kein rassistisches System“, während er strafmildernd die Unterdrückung der Kurd*innen in der Türkei und den Widerstand dagegen anerkannte. Trotzdem bleibt das Urteil – nicht zuletzt in Anbetracht des seit letztem Jahr durch das türkische Regime eskalierten Kriegs in Nordkurdistan und des Einmarschs des türkischen Militärs an der Seite extrem islamistischer Banden in Rojava/Nordsyrien am 24.08.16 eine Farce.

Mustafa selbst hatte bereits am Prozesstag vor der Urteilsverkündung erklärt, er werde sein Engagement für den Freiheitskampf in Kurdistan und die Freiheit des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan fortsetzen.
Auch Kenan bezeichnete das Gericht als „Überzeugungstäter“, weshalb eine frühere Haftentlassung unwahrscheinlich wäre.

Um die beiden Genossen nicht allein zu lassen und die Prozesse kritisch zu begleiten, hatten sich kurdische, türkische und deutsche linke Gruppen zum Solidaritätskomitee für die Politischen Gefangenen Celle/Hannover zusammengeschlossen.
Auch das Verfahren gegen zehn Aktivist*innen der Konföderation der Arbeiter*innen aus der Türkei in Europa (ATIK) vor dem OLG München wird vom Solidaritätskomitee begleitet. Die Genoss*innen werden beschuldigt, Mitglieder der Kommunistischen Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch (TKP/ML) zu sein. Konkrete Handlungen werden ihnen ebenfalls nicht vorgeworfen, bloß Mitgliedschaft in einer Organisation: die TKP/ML soll „terroristisch“ sein, ist in der BRD jedoch nicht einmal verboten!
Über alle Verfahren gegen kurdische Aktivist*innen, die nach §§ 129a, 129b StGB angeklagt werden, informiert zudem der Blog https://freiheit.blackblogs.org .