Vor 46 Jahren wurde das erste Haus in Deutschland besetzt. In den 1970er und 1980er Jahren folgte eine sehr aktive Hausbesetzer*innenbewegung – die in den Folgejahren schwächer wurde: Ein Indiz dafür, dass diese Form des Widerstands der Vergangenheit angehört? Nach einem Besuch im „Alten Sportamt“ in Bremen, ist einer unserer Autoren davon überzeugt, dass Hausbesetzungen nicht an Aktualität verloren haben.
von Mikkel Hansen
Zwischen dem Weser-Stadion und der Weser liegt ein Gelände, das heraussticht. Am Außenzaun hängen zwei Transparente. Auf einem steht in weißer Schrift auf schwarzem Stoff „Kill CAPiTaliSM before it kills you“ – eine eindeutige Forderung. Daneben gespannt ist ein braunes Laken mit den Worten „Sportamt bleibt autonom“ versehen – eine klare Botschaft. An die Außenfassade gemalt, eine Solidaritätsbotschaft an die Rigaer94, die drei Wochen von Polizei und Sicherheitsdienst rechtswidrig belagert wurde. Ähnliches droht dem „Alten Sportamt“: eine Räumung. Bis Ende Juli sollen die Besetzer*innen das Sportamt verlassen. Andernfalls werde Räumungsklage eingereicht. Besetzungen befinden sich in ständiger Ungewissheit. Eine Ungewissheit, mit der die Aktivist*innen des Vereins „Klapstul“ einen Umgang gefunden haben. Trotz der drohenden Räumung sagt einer der Besetzer: „Wir haben die Freiheit kennengelernt“, und schließt an: „Die Verhandlungen abgebrochen zu haben fühlt sich richtig an“.
Fünf Jahre vegetierte das Gebäude des ehemaligen Sportamts dahin. Nunmehr seit 2011 ist Leben in der Bude. Lesungen, Konzerte, Filmabende und weitere Angebote werden regelmäßig organisiert und veranstaltet. Der Verein „Klapstul“ hatte jeweils auf ein Jahr begrenzte Nutzungsverträge – wobei die Nutzung im Winter verboten war, da die Immobilie im Hochwassergebiet liegt. Jedes Jahr musste eine weitere Nutzung beantragt werden. 2015 plante der Eigentümer „Immobilien Bremen“ (IB) – der Finanzsenatorin unterstellt – keinen weiteren Kontrakt zu unterzeichnen. Die IB brachte in den acht Treffen keinen akzeptablen Lösungsansatz hervor. Daraufhin beschlossen die Klapstul-Aktivist*innen die Verhandlung abzubrechen und tauschten kurzerhand die Schlösser aus – das Gelände war besetzt. Aus Leerstand entstand ein selbstverwaltetes, soziokulturelles Veranstaltungszentrum. Im Interview mit der LaRage sagt der Aktivist Sid: „Ein Haus nicht einfach leerstehen zu lassen, sondern es den Menschen zur Nutzung zu überlassen, würde einer solidarischen Verantwortung entsprechen.“ Das aber passt nicht zu einer auf dem Eigentumsgedanken beruhenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.
So verwundert es nicht, dass während in Bremen bezahlbarer Wohnraum knapp ist, gleichzeitig 772 Leerstände – laut dem Online-Portal „leerstandsmelder.de“ – zu verzeichnen sind. Eine Hausbesetzung hinterfragt die Eigentumsverhältnisse. Und es ist sinnvoller ein Objekt zu besetzen, als es verfallen zu sehen oder eine überhöhte Miete zu zahlen.
Schweiß, Arbeit, Energie
Tagsüber hört man das Rauschen der Weser, außer wenn gehandwerkert wird. In Eigenregie, mit einer Menge Energie und viel Schweiß wurde das „Alte Sportamt“ renoviert. 2006 zog die Behörde aus den Räumlichkeiten, weil der Sanierungsaufwand zu groß gewesen wäre. Das Gelände ist in gutem Zustand, sagen die Besetzer*innen. Das bestätigt Jens Tittmann, Sprecher der Baubehörde, gegenüber der taz: „Ja, wir waren bis einschließlich 2015 jedes Jahr dort, vor allem aus Gründen des Brandschutzes. Da war alles okay, und auch Einsturzgefahr besteht unserer Auffassung nach nicht.“ Neben Renovierungen wurde das Gelände neugestaltet: ein Umsonstladen und eine Bibliothek eingerichtet, ein Podest und zwei Bars gebaut. Derzeit befindet sich ein barrierefreies WC im Bau. Wenn geräumt wird, droht der Abriss. Rechtlich ist die Lage eindeutig, aber wer versteht, dass ein etabliertes Projekt zunichte gemacht wird, um anschließend das Gelände ungenutzt zu lassen?
In Zeiten, in denen Hetze und Gewalt gegen geflüchtete Menschen erheblich zunehmen und emanzipatorische Errungenschaften zur Disposition stehe, braucht es Orte wie das „Alte Sportamt“. Orte, die in einem bestimmten Rahmen für Alle offen sind. Der Rahmen bedeutet nicht Konkurrenz und Vereinzelung, kein Sexismus, kein Rassismus und keine andere Form der Diskriminierung, sondern Freiraum und Solidarität. „Wir möchten generell, dass Menschen selbstbestimmt und solidarisch miteinander umgehen und das versuchen wir hier so weit wie möglich umzusetzen und Probleme gemeinsam zu lösen“, beschreibt Sid das Konzept im oben erwähnten Interview. Nancy fügt hinzu: „Wir wollen gemeinsam versuchen Herrschaftsmechanismen und -strukturen zu erkennen und aufzulösen.“
Ohne Moos was los
Abends, bei Veranstaltungen, tummeln sich Menschen auf dem Hof. Sie unterhalten sich, lauschen dem Konzert oder schauen Filme. Der Eintritt ist frei. Das ermöglicht jeder und jedem am kulturellen Leben teilzunehmen. Niemand wird ausgeschlossen, weil sie oder er kein Geld hat. Rund 20 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen sind von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen und somit von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen.
Umgeben von Sträuchern und Unkraut steht ein in den Boden geschlagener hölzerner Richtungsweiser.
24 Stunden am Tag zeigt er Besucher*innen den Weg zur Bar, zur Cocktailbar, zum Kitchen, zur Toilette und zum Free Shop. Im Hof stehen abgenutzte Sessel und Sofas, auf denen man sich ausruhen oder gemütlich unterhalten kann. Einen besonderen und extravaganten Sitzplatz bietet ein alter, angerosteter VW. In zwei Teilen dient das Auto nun als Sitzbank. Wer Durst hat, erhält an zwei Bars – wiederum gegen Spende – Cocktails, Bier und alkoholfreie Getränke.
Besetzungen wie diese in Bremen machen deutlich, dass diese Form des Widerstands, trotz des Rechtsbruchs, legitim ist – stellen sie doch die kapitalistischen Verhältnisse in Frage und schaffen Freiräume. Das Projekt des „Alten Sportamts“ ist durch und durch ein erfolgreiches und sinnvolles. Damit erfüllt es eben die Voraussetzungen, die die Senatorin für Finanzen 2009 auf eine Anfrage der Fraktion „Bündnis 90 / DIE GRÜNEN“ für einen langfristigen Erhalt nannte.